Mittwoch, 26. März 2014

Wie die Nationalbank mit Problemen beim Notendruck Milliarden verdient

Kürzlich entliess die Banknotendruckerei Orell Füssli ihren CEO mit der Begründung, er sei unfähig, die technischen Probleme beim Druck der neuen Frankennoten zu lösen. Nachdem früher bereits die Papierfabrik Landquart mit Produktionsverzögerungen beim Sicherheitspapier von sich reden gemacht hatte.

Diese Entlassung ist ein weiterer Tiefpunkt bei der Einführung der neuen Banknoten, die sich mittlerweilen zu einer bald zehnjährigen Leidensgeschichte ausgewachsen hat.

2005 informierte die Nationalbank erstmals über die neue Notenserie, die 2008 in Produktion und ab 2010 in Umlauf gehen sollte. Bis 2008 lief das Projekt auf Kurs. Im Februar 2010 informierte die SNB erstmals über technische Herstellungsprobleme und verschob den Ausgabetermin der ersten Noten um zwei Jahre bis 2012. Im Februar 2012 wurde dieser Termin dann um ein Jahr auf 2013 geschoben. Im Dezember 2012 gab es nochmals einen neuen frühesten Ausgabetermin im Laufe des Jahres 2015.

Nach heutigem Informationsstand werden die neuen Banknoten also mindestens fünf Jahre nach dem erstgenannten Termin eingeführt.  Als Begründung nennt die Nationalbank wie gesagt technischer Probleme.

An dieser Begründung scheint mir etwas faul zu sein. Warum?

Technische Probleme kann es selbstverständlich überall und immer geben. Misstrauisch macht hingegen der ohne aussagekräftige technische Informationen mehrfach hinausgeschobene Einführungstermin. Und misstrauisch macht auch der ökonomische Kontext des Banknotendrucks.

Wer Papiergeld drucken darf wie die Nationalbank, kassiert den Geldschöpfungsgewinn. Das heisst die Differenz zwischen den Herstellungskosten der Banknote, bei einem Tausender etwa 30 Rappen, und dem Tauschwert der Note von 1000 Franken.

Ende 2009, dem letzten Jahr vor der Bekanntgabe der ersten Verzögerung der neuen Notenserie verzeichnete die Nationalbankstatistik einen Notenumlauf von 50 Milliarden Franken, davon 30 Milliarden Tausender-Noten.

Im 1. Quartal 2014 liefen 62.5 Milliarden um, davon 38.5 Milliarden 1000er. Total sind also seit der Verschiebung des Ausgabetermins der neuen Noten 12,5 Millarden zusätzliche alte Banknoten gedruckt worden, davon 8,5 Milliarden Tausender-Noten.

Macht für die letzten drei Jahre einen Geldschöpfungsgewinn von gut 12 Milliarden, davon über 8 Milliarden mit den Tausendern.

Wo diese Tausendernoten heute sind, weiss niemand. Bargeld ist per definitionem anonym.

Die Nationalbank-Ökonomen behaupten, wie mir scheint reichlich blauäugig, die Tausender lägen zwecks Wertbewahrung unter den Matrazen, der ehrliche Sparer könne zurzeit ja auf Kassaobligationen und Sparheften keinen Zins mehr bekommen.

Unsereiner hingegen behauptet, der Grossteil der in den vergangenen drei Jahren gedruckten 8.5 Milliarden neuer Tausender zirkuliere als hartes, vertrauenswürdiges Zahlungsmittel in der weltweit wachsenden, bargeldbasierten Drogenhandels- und Schattenwirtschaft, sowie auch in der Steuerhinterziehung.

Wenn die neue Tausendernote dereinst in Umlauf gesetzt wird, werden viele lokale Drogenhändler in Südamerika oder China, mittelprächtige Schattenwirtschaftskönige in Rumänien oder mittelgrosse Steuerhinterzieher in Indonesien nichts davon mitbekommen. Sie werden es verpassen, ihre alten Tausender zwecks Umtausch in die Neuen  am Schalter ihrer lokalen Bank zu präsentieren. Geschweige denn am Nationalbankschalter in Zürich oder Bern, wo die alten Noten nach Ablauf einer kurzen freien Umtauschfrist obligatorisch umgetauscht werden müssen.

Ein Grossteil der 8.5 Milliarden neuer Tausendernoten dürfte so wertlos verfallen und  der volle Geldschöpfungsgewinn fällt definitiv an die Nationalbank.  Das wäre dann das lukrative wirkliche Motiv der bereits um ein halbes Jahrzehnt hinausgeschobenen Einführung der neuen Frankennoten.

Donnerstag, 13. März 2014

Facts, Fiction und Spin im Skript der "Akte Grüninger"

Mit der judenfeindlichen Flüchtlingspolitik zur Zeit des Dritten Reiches hat die Schweiz historische Schuld auf sich geladen. Das ist eine breit erforschte, mittlerweilen weitgehend unbestrittene historische Tatsache. Das Dokudrama "Akte Grüninger" hat diese Schuld faktenarm fiktionalisiert.

Die Dramaturgie des deutschen Drehbuchautors Bernd Lange basiert auf drei Elementen. Nämlich den jüdischen Flüchtlingen, die nach dem Anschluss Österreichs ans Dritte Reich 1938 bei Diepoldsau in die Schweiz flüchteten, dem St. Galler Kantonspolizeikommandanten Paul Grüninger, der die jüdischen Flüchtlinge zusammen mit anderen befehlswidrig hereinliess, und der judenfeindlichen Schweizer Flüchtlingspoltik.

Opfer, Täter und "Gerechte unter den Völkern", damit versammelt der Skriptautor drei der vier Akteure der heutigen globalisierten und institutionalisierten Holocaust-Erinnerungskultur. Nur die Zuschauer fehlen.

Das Schicksal der abgewiesenen jüdischen Opfer beschreibt das Filmskript nicht anhand historischer Akten, sondern mittels kitschiger Klischees. Die konkrete Ursache des Flüchtlingsstromes bei Diepoldsau 1938, bleibt vage, nämlich der Anschluss Österreichs ans Dritte Reich. Und es fehlt die Kontextualisierung der judenfeindlichen und generell restriktiven Flüchlingspolitik im Lichte der damaligen existenziellen Bedrohung unseres Landes durch das Dritte Reich. (Die negativen Folgen solch arger Geschichtsklitterung zeigt die völlig faktenfreie Kurzbeschreibung der "Akte Grüninger" im Programmheft zur Visionierung der Nomminierten des Schweizer Filmpreises 2014 vom 17. bis 23 März in Zürich und Genf.)

Die judenfeindlichen Flüchtlingspolitik des Täterstaates Schweiz personifiziert der Skriptautor mit einem frei erfundenen Bundespolizisten. Die imaginierte Filmfigur exekutiert die Befehle seines Berner Vorgesetzten, des damaligen Eidgenössischen Fremdenpolizeichefs Heinrich Rothmund, vor Ort in St. Gallen. Der Rothmund-Scherge schreckt nicht davor zurück, die jüdischen Flüchtlinge mit harten Razzias und Verhören zu drangsalieren, und sie, unter leichten Gewissensbissen, über die Grenze zurück in Verderben und Tod zu schicken.

Der erfundene Bundespolizist lässt auch Paul Grüninger hochgehen, den St. Galler Kantonspolizeikommandanten, der Flüchtlinge befehlswidrig und illegal hat in die Schweiz einreisen lassen. Grüniger wird als "Gerechter unter den Völkern" präsentiert, wie definiert vom israelischen Holocaustforschungszentrum in Yad Vashem. Man sieht einen knorrigen, eigenbrötlerischen, von seinem Helfern und Mitwissern isolierten Kommandanten, der dem Täterstaat Schweiz aus menschlichem Mitgefühl den Gehorsam verweigert, und  seine wirtschafliche und soziale Existenz verliert.

Ferner zwingt der erfundene Bundespolizist den sozialdemokratischen St. Galler Regierungsrat und Polizeivorstand Valentin Keel seinen Kommandanten fallenzulassen, in dessen illegale Flüchtlingshelfer-Aktivitäten er eingeweiht war. Auch andere Sozialdemokraten setzt der Rothmund-Scherge unter Druck, die Grüninger ebenfalls unterstützten. So den SP-Parteisekretär Werner Stocker, zwei sozialdemokratische Kantonspolizisten sowie den Schweizer Vizekonsul in Bregenz. Ein weiteres Opfer ist Sidney Dreifuss, Leiter der jüdischen Flüchtlingshilfe St. Gallen und Vater von Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss.

Vom Skript völlig ausgeblendet bleibt Saly Mayer, ein aus Sicht historischer Fakten völlig unverzichtbarer Akteur. Der St. Galler Textilunternehmer Mayer sass in den 1920erjahren für die FdP im Stadtparlament. Und avancierte später zum Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Mayer war der zentrale Verbindungsmann der Schweizer Juden zu Fremdenpolizeichef Rothmund, der trotz antijüdischer Einstellung ein persönlicher Bekannter Mayers, oder wie andere wissen wollen, sogar sein Freund war. Rothmunds rechte Hand Max Ruth kannte Mayer aus St. Gallen.

Der Grund für die Ausblendung der Figur Mayer im Filmskript liegt auf der Hand. Das handelnde Subjekt Mayer läge völlig quer zu Langes dramaturgischer Triade Opfer-Täter-Gerechte. Die filmische Umsetzung der Beziehungen Mayers zu Rothmund auf Basis der Recherchen von Hanna Zweig-Strauss, hätte die Figur des erfundenen subalternen Bundespolizisten als Verkörperung des Täterstaates Schweiz unbrauchbar gemacht. Glaubt man Zweig-Strauss, suchte Mayer die Nähe zu Rothmund und pflegte sein loyales Verhältnis zu Staat und Behördenvertretern. 1943 musste er als Präsident des SIG zurücktreten. Das Böse auf den erfundenen kleinen Befehlsempfänger zu fokussieren, während sein realexistierender judenfeindlicher Chef Rothmund mit dem realexistierenden umstrittenen Chef der organisierten Schweizer Juden über Schweizer Flüchtlingspolitik diskutieren, hätte nicht funktioniert.

Als lokaler historischer Experte des deutschen Drehbuchautors fungierte WOZ-Journalist, Gewerkschafter und Buchautor Stefan Keller, der 1993 das Standardwerk zum Thema Grüninger veröffentlicht hat.

In der WOZ-Filmbeilage hat sich Keller vom Filmskript distanziert (23.1.14). Er schreibt, der Film fiktionalisiere die Grüniger-Geschichte aus einer Beamtenperspektive von oben, während sein Buch den St. Galler Landjägerhauptmann und die verbrecherische Schweizer Flüchtlingspolitik von unten aus der Sicht der Flüchtlinge beschreibe.

Auf Anhieb wirkt Kellers Kritik schwer nachvollziehbar, gehörten doch sowohl FdP-Mitglied und Polizeikommandant Paul Grüninger, als auch SP-Regierungsrat Valentin Keel zur gesellschaflichen Oberschicht. Auch waren die Flüchtlinge nicht primär arme ultraorthodoxe Juden aus dem Osten, sondern wirtschaftlich wohlhabende, assimilierte Juden aus Wien. Die Grüninger-Geschichte spielte sich nicht im gewöhnlichen Volk ab, sondern in der Elite.

Um die Kritik des linken Historikers und Journalisten Keller  zu verstehen, muss man auf die Entstehungsgeschichte seines 1993 erschienenen Grüninger-Buches zurückgehen. Die Recherche entstand als Auftragsarbeit für eine linke St. Galler Aktionsgruppe mit dem SP-Politiker Paul Rechsteiner und anderen, die für eine Grüninger-Rehabilitierung kämpfte. Bereits zu Beginn der 1980er Jahre entstanden, agierte die Gruppe gegen eine bürgerlich dominierte St. Galler CVP/FdP-Regierung die sich hartnäckig weigerte, dem vom Kanton ungerechtfertigt verjagten Flüchtlingshelfer Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die klassenkämpferische Perspektive der Grüninger-Rehabilitierung stand im lokalpolitischen Verwertungszusammenhang Links gegen Rechts. Das Böse ist der St. Galler Bürgerblock, das Gute ist Flüchtlingshelfer Grüniger. Dass die Flüchtlinge Juden waren und Grüninger FdP-Mitglied sind Fakten, er hätte aber geradesogut ein CVP-Mitglied sein können, und die Flüchtlinge österreichische Kommunisten, Gewerkschafter oder Sozialdemokraten.

Ganz anders verteilen sich Gut und Böse in der Perspektive des Filmskripts. Das Böse ist nicht der St. Galler CVP/FdP-Bürgerblock, sondern die judenfeindliche Schweizer Flüchtlingspolitik. Das Gute per Se existiert nicht. Grüniger ist bedeutend, weil er als "Gerechter unter den Völkern" die Rolle des Zuschauers beim beginnenden Völkermord an den Juden verweigert, und den Opfern hilft so gut er kann. Dass er dabei selbst zum Opfer des lokalen Bürgerblocks wurde, bleibt zweitrangig.

Mit Kellers klassenkämpferischen Kritik am Filmskript gar nicht einverstanden ist übrigens die Kulturmanagerin und Schriftstellerin Bettina Spoerri. Sie eilte dem von seinem lokalen Experten desavouierten Skriptautor Lange in der NZZ zu Hilfe (30.1.14). Unter dem Titel "Zivilcourage ist ein seltenes Gewächs "Akte Grüninger" findet einen überzeugenden Weg zwischen Historie und fiktionaler Emotionalisierung" schreibt Spoerri: "Die Verschiebung des Fokus erweist sich als kluge Entscheidung".

Unterschiedliche Geschichtsperspektiven sind legitim, müssen jedoch die historischen Fakten honorieren, wenn sie nicht zum sterilen Schema und schliesslich zur reinen Ideologie verkommen wollen.

Wer im Fall Grüninger vom Thema "historische Fakten" redet, darf vom Journalisten Shraga Elam Sündermann nicht schweigen, der Kellers Grüninger-Recherchen auf Basis eigener Forschungen bezweifelt. Keller hat den Dialog mit Elam Sünderman bereits vor Jahren abgebrochen. Dessen Thesen titulierte er kürzlich in einem Leserbrief an die "Weltwoche" als unwissenschaftlich. Elam Sündermann seinerseits bezichtigt Keller und das jüdische Magazin Tachles der hartnäckigen Weigerung, sachlich auf die Bedeutung der von ihm vorgelegten Archivalien und Interpretationen einzugehen, und ihn vielmehr mit bösartigen Unterstellungen und Verleumdungen fertig machen zu wollen.

Mich dünkt, dass es in dieser nunmehr seit fast zwanzig Jahren andauernden Auseindandersetzung nicht primär darum geht, ob Grüninger aus menschlichem Mitgefühl handelte, wie Grüninger-Experte Keller sagt. Oder ob er nicht vielmehr ein korrupter Polizeikommandant mit Nazisympathien war, wie Grüninger-Experte Elam Sündermann vermutet. Weil seine eigenen Recherchen es als möglich erscheinen lassen, dass Grüninger Nazisympathien hegte und Schmiergeld von nazideutschen Dienststellen bekam. Zu einem Zeitpunkt, als die Vorarlberger Behörden die Juden (noch) nicht ermordeten, sondern "nur" verjagten.

Es geht letzlich auch nicht darum, wieso Keller nach Ansicht Elam Sündermanns die Rolle des SP-Sekretärs Werner Stocker, des SP-Regierungsrates Valentin Keel und der zwei SP-Kantonspolizisten herunterspielt, die damals in St. Gallen einen illegale Schlepperorganisation zur Rettung österreichischer Flüchtlinge betrieben, die mit dem Einzelgänger Grüninger zusammenarbeitete. Auch die unlängst publizierte dicke SP-Parteigeschichte übergeht den Flüchtlingshelfer Stocker und seine Gruppe, obwohl sich die SP dieser Genossen gewiss nicht zu schämen braucht.

Die Auseinandersetzung Keller gegen Elam Sündermann dreht sich primär darum, ob es erlaubt ist, etablierte Geschichtsinterpretationen mit neuen Recherchen in Frage zu stellen, umzustossen und durch neue Erklärungsmodelle zu ersetzen.