Sonntag, 25. Februar 2018

Bitcoin, Blockchain und der Elektronische Franken

Die Idee einer elektronischen Banknote und das Internet widersprechen sich diametral.

Die Übertragung von Daten via Internet-Browser beruht auf dem Prinzip Vervielfältigung — dieser Blogpost wird (hoffentlich) von 1001 Webbrowsern kopiert  —,  während der der Witz der Banknote gerade darin besteht, dass sie nicht vervielfältigt, sondert als Unikat von Person zu Person übertragen wird.

In der Frühgeschichte des Datenverkehrs von Computer zu Computer vor 1990 (Arpanet),  spielte dieser Widerspruch noch keine Rolle. Die Kommerzialisierung des Internets nach dem Durchbruch des Netscape-Browsers 1993/94 rückte dann die Problematik der anonymen Direktzahlung auf dem Netz in den Vordergrund.

Weil die grossen Banken Mitte der 1990er Jahre kein Interesse an der Entwicklung des elektronischen Zahlungsverkehrs zeigten, entwickelten Peter Thiel und andere im Silicon Valley den Bezahldienst PayPal, mit dem Geld einfach und schnell gesendet und empfangen werden konnte. Allerdings nicht anonym, sondern zwischen identifizierten PayPalkontos die über ein Bankkonto mit Zentralbanken aufgefüllt werden müssen.

Im Februar 2000 war ich an einer Finanzkryptografie-Konferenz in Anguilla und hörte dort Thiel und andere Cracks der damaligen Finanzkryptoszene. Sie redeten vor allem über die Anonymisierung des Individuums auf dem Netz. Vom Problem des mehrmaligen Zahlens mit dem gleichen elektronischen Geld redete keiner.


                                   
Schluss der Teilnehmerliste

Dann kamen 9/11, der Irakkrieg und der Krieg gegen den Terrorismus. Die Welt wandelte sich fundamental. Die Anonymisierung des einzelnen Internetsurfers war politisch nicht mehr korrekt. Das amerikanische Naval Research Lab, die Bell Labs, IBM Research und die US-Eliteunis verlagerten ihre Ressourcen auf politisch korrekte Forschungsfelder.

Später verlagerten die Satoshi-Nakamotos ihre Aktivitäten auf das Problem der Verhinderung von Mehrfachzahlungen mit elektronischem Geld. Sie lösten dieses Problem 2009 mit der Blockchain-Technik. Die neue Technik koppelten sie mit der Anonymisierung der Transaktion und der Schöpfung eines neuen nicht-Zentralbanken-Geldes zum elektronischen Kyptogeld Bitcoin.

Die seitherigen Erfahrungen mit Bitcoin haben die Frage aufgeworfen, inwieweit diese neue Geldsorte die drei klassischen Funktionen des Geldes erfüllen kann. Also gleichzeitig Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel sowie Wertmesser und Recheneinheit zu sein.

Vieles spricht dafür, dass staatlich unregulierte Kryptowährungen wie Bitcoin und andere kein Geld im klassischen Sinne sind, sondern von der Realwirtschaft entkoppelte Spekulationsvehikel der neuen Art.

Je mehr der Staat solche nicht-Zentralbanken-Kryptowährungen reguliert, desto mehr geht die Anonymität flöten. Je weniger der Staat reguliert, desto wilder schwankt der in Zentralbankengeld ausgedrückte Wert.

Das Beste an Bitcoin ist die Blockchain-Technologie. Eine wichtige von vielen Anwendungsmöglichkeiten dieser Technologie sind elektronischen Banknoten von Zentralbanken. Solches E-Cash ist klassisches Geld im Sinne der Dreifaltigkeit von  Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel und Wertmesser und Recheneinheit.

Rein technisch können alle Zentralbanken E-Cash ausgeben. Für welche Währungen sich das lohnt ist allerdings eine geldpolitische Frage, die nur im wirtschaftspolitischen Gesasamtkontext des betreffenden Währungsraumes beantwortet werden kann.

Was die Frankenwährung betrifft scheint die Schaffung eines E-Frankens auf einer SNB-Blockchain aus heutiger Gesamtsicht der Entwicklungsperspektiven des Wirtschaftsraumes Schweiz empfehlenswert. Dies aus folgenden Gründen:

  • Es darf davon ausgegangen werden, dass die elektronische Form der Hartwährung Franken überall auf der Welt gleich gut akzeptiert wird wie die Schweizer Banknoten. 
  • Der E-Franken verkörpert das Gute am Vollgeld ohne dessen Nachteile. Wer dem Buchgeld des Bankensystems misstraut, kann mit E-Franken 100 prozentiges Nationalbankgeld halten.
  • Der E-Franken löst das grösste Problem der unkonventionellen SNB-Geldpolitik sei der Finanzkrise vor zehn Jahren. Nämlich der enorme, weiterwachsende Anteil des überschüssign SNB-Girogeldes an der Notenbankgeldmenge. (Die Notenbankgeldmenge besteht aus Banknoten und SNB-Girogeld) Vor zehn Jahren war betrug das Verhältnis Banknoten zu SNB-Girogeld ungefähr 10:1, seither hat sich dieses Verhältnis umgekehrt und beträgt etwa 1:8. 

Mit der Ausgabe von, sagen wir 250 Milliarden E-Franken auf einer SNB-Blockchain schlägt die Nationalbank zwei Fliegen auf einen Schlag. Zum einen macht die Digitalisierung der Schweizer Währungsordnung den Franken fit für direkte "Peer-to-Peer"-Zahlungen ohne Zwischenschaltung von Banken oder Kreditkarten. Und zum anderen ermöglicht die neue elektronische Geldsorte die drängende Restrukturierung der Passivseite der SNB-Bilanz.

SNB-Direktoriumspräsident Thomas Jordan verfolgt und analysiert die Entwicklungen des Digitalgeldes, steht jedoch der Idee des elektronischen Frankens kritisch gegenüber, wie er an einer Rede vor der Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft am 16. Januar betonte.

Tja — Wie meinte doch der bekannte Ökonom Rudolf Strahm im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» vom 10. Januar 2018: «Thomas Jordan ist ein ängstlicher Mensch und scheut Reformen».

Samstag, 10. Februar 2018

Liberal, liberaler, ordoliberal - Die NZZ und der wahre Liberalismus


"Die Schwäche der SP nach dem abrupten Rücktritt ihrer Stadträtin Nielsen erhöht die Chancen für eine liberalere Politik (in Zürich)",  schreibt Irène Troxler, Ressortleiterin Zürich und Region, in der heutigen NZZ.

"Ich bin auch eine Ordoliberaler", outete sich NZZ-Wirtschaftsredaktor Jürg Müller am letzen Montag an der Tagung "Unser Geld, unsere Banken, unser Land" im Gottlieb Duttweiler Institut.

«Wir sind ordoliberal. Sie könnten auch neoliberal sagen.» sagte Eric Gujer bei seiner Wahl zum NZZ-Chefredaktor vor drei Jahren dem Tages-Anzeiger.

Der Ordoliberalismus ist eine ursprünglich deutsche Spielart des Liberalismus, die im Unterschied zum austro-amerikanischen Neoliberalismus den Staat nicht aus der Wirtschaft verbannt, sondern die oberste Ordnungsfunktion zuweist. Der Kern des Ordoliberalismus ist die Vorstellung, dass der Wettbewerb staatliche Leitplanken braucht. Konzipiert wurde die staatsinterventionistische Liberalismusvariante von Ökonomen wie Walter Eucken oder Franz Böhm gegen Ende der 1930er Jahre an der Uni Freiburg im Breisgau.

Der Ordoliberalismus war das wettbewerblich-liberale Korrektiv der nationalsozialistischen Plan- und Kartellwirtschaft. Diese wollten Eucken und Böhm nach Kriegsende so oder so abschaffen, ob die Nazis den Krieg gewonnen oder verloren hatten. Die beiden verstanden den Wettbewerb nach dem Vorbild der antiken Olympiade als staatlich geregelten Leistungswettbewerb von Gleichberechtigten. Nicht als Verdrängungskrieg des Stärkeren gegen den Schwächeren im Sinne des "winner-takes-all" Prinzips des austro-amerikanischen Neoliberalismus von Friedrich A. Hayek, Milton Friedman und Ayn Rand.

Die besten Ordoliberalen Zürichs finden sich heute bei der SP (inkl. AL),  den Grünen und den Grünliberalen. Die gute Hoffnung von NZZ-Lokalchefin Troxler auf eine "liberalere" Politik nach dem Ausscheiden Nielsens könnte schon bald enttäuscht werden. Spätestens dann, wenn ökologisch, verkehrspolitisch oder sozial motivierte Eingriffe in die Metropolitanraumökonomie erfolgen.

Der Begriff "Liberal" ist eine Worthülse, Troxlers Steigerungsform "liberaler" ist eine Worthülse im Quadrat. Im Vergleich mit dem ordoliberalen Kollegen Müller von der Wirtschaftsredaktion hinkt die Lokalchefin damit weltanschaulich weit zürück.

Fehlt noch mein Kommentar zur "Ordoliberal-Neoliberal-Scheissegal-Haltung" des Chefredaktors.

Damit ist Eric Gujer publizistisch bereits mehrmals aufgelaufen. In der Innenpolitik mit seinem weitherum auf Ablehung gestossenen "NoBillag-Editorial",  mit dem er es sowohl der neoliberal-libertären, als auch der ordoliberalen Strömung Recht machen wollte.

Oder in der Aussenpolitik, wo Gujer in seinem E-Mail Newsletter für den grossen Kanton Frustration zum deutschen Wahlergebnis und der Regierungsbildung verbreitet, statt seine Leserschaft durch analytische Tiefenschärfe zu überzeugen.

Dies, weil Gujer meines Erachtens nicht versteht oder nicht sehen will, dass die Fortsetzung der GroKo auf dem ordoliberalen Wirtschaftsprogramm von CDU, CSU und SPD fusst.

Angela Merkel steht auf den Schultern der Sozialen Marktwirtschaft, die Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard nach dem Krieg im Sinn und Geist von Walter Eucken und Franz Böhm konzipierten. Und auf dieser Basis war ein Bündnis mit der FDP von Christian Lindner nicht möglich.